Kölner Verwaltungsgericht stoppt Familientrennung in letzter Minute

Stadt Köln muss 23-jährigen Rom nach Abschiebung nach Serbien sofort wieder einreisen lassen

So deutliche Zeilen schreibt ein Gericht einer Ausländerbehörde nicht immer ins Stammbuch, wie jüngst das Verwaltungsgericht Köln in einem Beschluss vom 21. März 2024 (12 L 501/24):

(…)“Einer Abschiebung des Antragstellers steht derzeit Art. 6 GG, Art. 8 EMRK entgegen.“ Es sei in „keiner Weise ersichtlich“, dass die Stadt Köln „die zwischen dem Antragsteller und seinem Kind (…) sowie der Kindesmutter (…) bestehende familiäre Gemeinschaft (…) gewürdigt hat.“(…)

In Artikel 6 des Grundgesetzes ist der Schutz von Familie und Ehe geregelt, in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Stadt Köln hatte also diese Rechte völlig unberücksichtigt gelassen. Und das bei der Frage der Trennung eines Vaters von seinem 20 Monate alten Kind.

Was war geschehen?

Die Stadt Köln hatte den 23-jährigen in Deutschland geborenen Rom Tito J. am frühen Morgen des 21. März 2024 – am Internationalen Tag gegen Rassismus – zur Abschiebung nach Serbien abgeholt. Seine hoch schwangere Partnerin und das gemeinsame einjährige Kind blieben zurück. Die Partnerin rief eilig die Unterstützerin Marianne Arndt vom Kölner Verein Mosaik zu Hilfe, die eine Anwältin aktivierte, um diese Familientrennung noch zu stoppen. Wenig später schon beschloss das Gericht, dass die Abschiebung des jungen Familienvaters umgehend vorläufig zu stoppen sei. Leider war das Flugzeug mit dem Mann zu diesem Zeitpunkt bereits vom Düsseldorfer Flughafen aus nach Serbien abgehoben. Immerhin gewährleisteten das Gericht, die Stadt Köln und die im Flugzeug anwesende Bundespolizei die sofortige Rückholung des Mannes nach Deutschland noch am gleichen Abend.

Die Ehefrau Rada J. berichtete heute dem Kölner Stadt-Anzeiger von den Minuten der Abschiebung:

„Meine Tochter und ich durften nicht zu ihm, wir konnten uns nicht mal verabschieden. Ich habe gerufen: Sie dürfen meinen Mann nicht mitnehmen, ich bin hochschwanger, die Kinder brauchen ihren Vater, aber ich habe keine Antwort bekommen.“

Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete auch über den Tonfall der städtischen Beamt:innen Tito J. gegenüber:

„„Herr J., heute geht es für Sie nach Hause!“, hätte einer der Männer gesagt, als er im Pyjama die Tür geöffnet habe. „Wieso nach Hause, ich bin doch hier geboren?“, habe er geantwortet, erinnert sich J.. Die Männer hätten ihn durchsucht, Handschellen angelegt, seine Frau und die kleine Tochter Sissy hätten im Schlafzimmer bleiben müssen, Beamte hätten die Tür bewacht.“

Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., kommentiert:

„Wie krass kann eine Ausländerbehörde die Belange eines Kindes und einer Familie missachten, um eine solche Abschiebung um jeden Preis durchsetzen zu wollen? Die Stadt Köln muss sich fragen lassen, was ihre Leitlinie Kindeswohlaspekte wert ist, wenn sie in einem solchen Fall eines Kleinkindes vollkommen unbeachtet zu bleiben scheint.“

Die Stadt Köln hat ihrer Ausländerbehörde eine Art Selbstverpflichtung auferlegt, die in einer Leitlinie „Kindeswohlaspekte“, Sicherstellung von Kindeswohlaspekten bei der Prüfung von Bleibeperspektiven und im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen“ aufgeschrieben sind. Zuvor hatten die kommunalpolitischen Gremien die Stadtverwaltung hierzu aufgerufen, nachdem es immer wieder zu unsäglichen Abschiebungen von Kindern und Familien gekommen war, etwa der Abschiebung der fünfköpfigen Familie Lico im Mai 2022 oder der Abschiebung der Rom:nja-Familie Hymerllaj im Dezember 2021. Mit der Leitlinie füllt die Stadt auch eine Lücke, weil es von der NRW-Landesregierung für diese Fragen über Erlasse fast überhaupt keine verbindlichen Vorgaben gibt. Die Stadt Köln bekennt sich darin auch zu den Verpflichtungen aus der UN-Kinderrechtskonvention, die festlegt, dass bei allen Entscheidungen und Maßnahmen, die ein Kind betreffen, das Wohl und die Interessen des Kindes vorrangig zu berücksichtigen sind. Die Konvention ist in Deutschland geltendes Recht.


Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., fragt:

„Gelten diese Maßstäbe etwa nicht für alle Familien und Kinder in Köln?“

Begründet hat die Stadt Köln ihr rigides Vorgehen offenbar mit Vorstrafen des Mannes als Jugendlicher. Davon berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger. Der Kölner Flüchtlingsrat will bald das Gespräch mit der Amtsleitung zu dieser Abschiebung suchen, kündigte Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Rates an.

Familientrennungen NRW-weit zu beobachten

Familientrennungen auch bei Familien mit minderjährigen Kindern werden NRW-weit von den Ausländerbehörden durchgesetzt, gegen jede Verpflichtung aus Grundgesetz, Europäischer Menschenrechtskonvention und UN-Kinderrechtskonvention. Erst jüngst hat das Abschiebungsreporting NRW eine Familientrennung in Gelsenkirchen dokumentiert, die zu einer intensiven Debatte in der Gelsenkirchener Stadtpolitik geführt hat. Ein êzîdischer Familienvater war Ende Oktober 2023 mit zwei minderjährigen Kindern im Alter von 9 und 14 Jahren nach Armenien abgeschoben worden, während seine Ehefrau stationär in der Psychiatrie behandelt wurde. Die Familie ist nun – mehr als fünf Monate später – immer noch voneinander getrennt. Die Westfalenpost berichtete jüngst über eine weitere Familientrennung, die das Kölner KinderRechteForum, eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Köln, die sich für die Verwirklichung von Kinderrechten einsetzt, scharf kritisiert hatte. Ein Familienvater war im Dezember 2023 vom Hochsauerlandkreis mit seinen Kindern in den Kosovo abgeschoben worden, während die Ehefrau zunächst in Deutschland verblieb und aufgrund ihrer kasachischen Staatsangehörigkeit im März 2024 nun alleine nach Kasachstan abgeschoben worden ist. Begründet hatte der Hochsauerlandkreis dies unter anderem mit 140 Tagessätzen Vorstrafen bei dem Mann.

Verantwortlich für die landesweit und zahlreich zu beobachtenden Fälle von Familientrennungen in Nordrhein-Westfalen ist auch die Landesregierung. Das von den Grünen geleitete Kinder-, Familien- und Fluchtministerium unterlässt es bis heute, den Ausländerbehörden wenigstens auf dem Erlasswege Mindeststandards für die Behandlung von Familien bei Abschiebungen vorzuschreiben, die Familientrennungen untersagen würden. In anderen Bundesländern, wie etwa Niedersachsen, ist dies dagegen Standard. Dies könnte dazu beitragen, dass systematische Familientrennungen seitens der Ausländerbehörden endlich unterbleiben.

Rigide Abschiebepraxis von Rom:nja muss politisch diskutiert werden

Auch bekommt die nrw-weit zu beobachtende rigide Abschiebepraxis gegenüber Rom:nja mit dem heutigen Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers über Tito J. wenige Tage nach dem Internationalen Tag der Roma erneut ein Gesicht. Erst im Februar 2024 hatten das Roma Center und der Bundes Roma Verband ihre Forderungen nach einer dauerhaft Bleiberechts-Regelung für Rom:nja Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Vertreter:innen aus Bundesministerien vorgetragen. Doch fast 80 Jahre nach dem Mord Deutschlands – zum Teil gemeinsam mit weiteren Verbündeten – an mindestens einer halben Million Sinti:zze und Rom:nja sind Abschiebungen von Rom:nja noch immer Alltag, auch in Nordrhein-Westfalen. Die 2021 veröffentlichten Forderungen der von der Bundesregierung eingesetzten Unabhängigen Kommission Antiziganismus an Bund, Länder und Kommunen bleiben unberücksichtigt oder werden nicht einmal diskutiert. Die Kommission hatte vor bald drei Jahren festgehalten:

Mit Blick auf die praktische Anwendung der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes ist klarzustellen, dass die in Deutschland lebenden Rom_nja aus historischen und humanitären Gründen als eine besonders schutzwürdige Gruppe anzuerkennen sind. Landesregierungen und Ausländerbehörden sind aufgefordert, die Praxis der Abschiebung von Rom_nja sofort zu beenden.“

(Unabhängige Kommission Antiziganismus, Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation, 2021, S. 16)

Hintergrund:

Marianne Arndt von der Kölner Initiative Mosaik hat die Abschiebung von Tito J. auch in einem Protokoll festgehalten. Darin enthalten ist auch die Dokumentation einer weiteren Abschiebung vor wenigen Wochen in Köln. Damals wurde eine psychisch schwerstkranke 56-jährige Frau nach Albanien abgeschoben.

Die Stadt Köln hat sich als Selbstverpflichtung eine Leitlinie Kindeswohlaspekte, Sicherstellung von Kindeswohlaspekten bei der Prüfung von Bleibeperspektiven und im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen“ gegeben, die die Ausländerbehörde der Stadt bei Abschiebungen von Minderjährigen berücksichtigen soll. Sie hat den Stand von September 2023.

Das Abschiebungsreporting NRW arbeitet zurzeit an einer umfassenden Dokumentation zur Abschiebepraxis in Nordrhein-Westfalen, die im 2. Quartal 2024 veröffentlicht wird. In dieser Dokumentation werden in eigenen Kapiteln auch die Fragen von Abschiebungen von Kindern, minderjährigen Jugendlichen und Familien sowie die zahlreichen Familientrennungen ausführlich und systematisch dargestellt. Zudem gibt es ein ausführliches Kapitel zu Abschiebungen von Rom:nja.

Kontakt:
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose (at) abschiebungsreporting.de
www.abschiebungsreporting.de

Mehr:
Kölner Gericht stoppt Abschiebung, als Familienvater schon im Flieger sitzt, in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 10. April 2024

Massive Kritik: Familie nach Abschiebung aus HSK getrennt, in: Westfalenpost vom 18. März 2024

Roma Center, Veranstaltung im Bundestag und neue Experten-Kommission Bleiberecht des BRV, Bericht vom 21. Februar 2024

„Skandal“-Trennung? Mutter in Klinik – Kinder abgeschoben, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 14. Dezember 2023

Ausländerbehörde der Stadt Gelsenkirchen trennt wieder eine Familie, Report Abschiebungsreporting NRW vom 04. Dezember 2023

Stadt Köln, Sicherstellung von Kindeswohlaspekten bei der Prüfung von Bleibeperspektiven und im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Leitlinie Kindeswohlaspekte, September 2023

Unabhängige Kommission Antiziganismus, Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation, 2021